Die Bananenfrage

Die Banane ist nicht das Problem. Sie ist nur das, woran wir es festmachen.
Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Irgendwie schon. Von Anfang an, als ich noch meine sommerlichen Pioneer-Parolen schrie und in langen weißen Strumpfhosen durch die nordrussische Pampa rund um das damalige Leningrad marschierte – entweder mit einem naturgetreu nachgebauten Kalaschnikow, einer roten Fahne oder einem schwarzen Bonbon aus industriellem Silikon. Schon damals wusste ich: Ich bin ein Deutscher, ein echter Deutscher mit allem, was dazu gehört. Schon damals wusste ich, dass ich mich zu einem Globalisierungsprodukt entwickeln musste und würde. Etwa wie eine Banane. Es ist wahr mit den Bananen: Sie werden zwar irgendwo im Süden geboren, entstehen, kommen auf die Welt. Gewachsen und gereift sind sie aber in Bochum oder Berlin. In Bochum hätten sie übrigens weniger Chancen als in Berlin, denke ich. Und die Bananen aus Berlin haben wenig gemeinsam mit ihren Artgenossen aus dem Süden. Oder auch aus Bochum. So bin ich. Zwar gebürtiger Russe, der seine glückliche Kindheit und die Sturm-und-Drang-Zeit in der Nähe von Atomraketen verbracht hat, reisend durch sämtliche militärische und paramilitärische Siedlungen oder Metropolen. Bestrahlt und vergiftet wurde ich mit allem, was man dafür nutzen kann – von den Stiefeln meines Vaters über staatliche Fernsehangebote bis hin zur allgemeinen Armut und dem dazugehörigen Gefühl von trauriger, aber irgendwie schöner Gemeinsamkeit. Ich habe sogar Lenin gelesen – nachts, unter der Decke. Zur Abwechslung zu Goethe, übrigens. Manchmal nicht allein. Einen der ersten alkoholhaltigen Cocktails trank ich auf das Wohl der Partei und gleichzeitig auf den Tod eines Großgenossen. Das Zeug hatten wir aus der Waschmaschine entnommen: 30 Minuten, Wasser, Hefe, Reste von Kompott und viel, viel Zucker. Und wissen Sie was? Es schmeckte! Und es knallte!
Jetzt bin ich seit mehreren Jahren hier, in meinem geliebten Deutschland.
Wo ist die Heimat – dort, wo man geboren wird, oder dort, wo man zu sterben beabsichtigt? Das ist die Bananen-Frage, meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Antwort findet sich nicht in Diskussionen über deutsche Leitkultur oder über die Zugehörigkeit der einen oder anderen Religion, sondern in einer weiteren Frage: Wer möchte die Banane, und wer möchte sie nicht? Wollen tun wir alle, habe ich das Gefühl. Ich durfte einmal eine sensationelle Empörung beobachten – in einem Supermarkt in Bochum. Die Bananen dort waren bereits tot, überreif sozusagen. Die tote Banane betrachtet, machte sich eine Dame Sorgen über Globalisierung und Erderwärmung. Ohne sich mit GfK-Statistiken zu beschäftigen war klar: Es besteht eindeutig Bedarf nach Bananen, Kiwis, Aquavit, süß-saurer Soße, Wodka und Ikea. Alles, was die Globalisierung mit sich brachte, wird warmherzig konsumiert, manchmal in dem uns Menschen eigenen Übermaß. Was aber ist mit dem Menschen selbst? Warum verspürt jemand den krampfhaften Wunsch, eine gebratene Banane samt italienischem Eis zu verspeisen, und warum wehrt sich derselbe Mensch gegen junge Männer oder Frauen von irgendwo?
Was also ist mit dem Globalisierungsprodukt Mensch? Ich plädiere für globale Konsequenz – in die eine oder andere Richtung. Entweder alles rein oder alles raus. Keine Zwischenlösungen, keine Kompromisse, kein anderes Bier. Wenn schon, denn schon. Man darf sich nicht nur für Bananen aus Portugal entscheiden und Bananen aus Burkina Faso ablehnen. Wenn ja, dann für alle. Nein soll auch für alles gelten. Wenn man Nein sagt, dann muss statt der Banane bitte eine Grützwurst oder ein Teller Grünkohl her – für zwischendurch im Büro, bis der nächste Kunde reinkommt. Statt chinesischer Nudeln ein heimatbetontes Käsebrötchen mit viel Zwiebel und Pfeffer. Statt „Patagonia“ alle bitte in Tracht und eine Seemannskappe dazu. Und endlich: Statt irgendeinem Francesco muss ein Udo her, und statt einer Agnieszka muss zumindest eine Eva sein. Wenn man sich aber für die allgemeine Anerkennung von Bananen entscheidet und die begleitenden Maßnahmen wie Gesetz und Recht entsprechend gestaltet, dann muss man konsequent bleiben. Jede Banane, die Banane heißt und hier zumindest gereift ist, ist deutsch – auch wenn sie ursprünglich woanders behandelt war. So bin auch ich. Bin da, reif und bereit, meine beste Qualität als bananenähnliches Produkt zum Wohl meiner Heimat einzusetzen – bis zum Anschlag. Unter Anschlag meine ich natürlich nicht das, was manche andere Bananenartige vermuten könnten, sondern einen tatkräftigen Einsatz für unsere Gesellschaft. Allerdings ist „Einsatz“ auch so ein rutschiges Wort...
Die Welt ist kompliziert geworden. Auch die Götter haben sich verändert.
Ich gehöre zu Deutschland. Ich habe Deutschland lieb. Mit allem, was ich in meinem Leben erlebt habe, bin ich ein Deutscher. Das bedeutet aber, dass alles, was mir gehört, jetzt auch Deutschland gehört: meine Kindheit, meine Bücher, meine Tante, die mir sanft und traurig jede Nacht etwas gesungen hat – auch das gehört jetzt zu Deutschland. Gehört aber auch zu Burkina Faso. Und zu Brasilien. Und zu Polen. Globalisierung eben. Gehört auch zu Russland und Estland... und so weiter und so weiter. Hoffentlich ohne Ende. Weil wir uns alle lieb haben. Irgendwie schon.